Der Film-Trailer zu Leben und Werk von Heinrich Seuse
SURSUM CORDA von Ruth Nagel
und ein Text zum Film von Prof. DDr.Markus Enders
Der von Ruth Nagel im Auftrag des Seuse-Vereins anlässlich der Neueröffnung des renovierten Suso-Hauses produzierte, etwa
dreißigminütige Film „Sursum corda. Einführung in Leben und Werk des Mystikers und Dichters vom Bodensee Heinrich Seuse 1295 - 1366" stellt zweifelsohne ein bemerkenswertes Novum seiner Art dar: Denn es dürfte sich dabei um den ersten Film überhaupt handeln, der das Leben und Werk Heinrich Seuses zum Gegenstand hat.
Der Haupttitel dieser Verfilmung des Lebens und der mystischen Lehre Heinrich Seuses spielt auf das neunte Kapitel in der „Vita" Heinrich Seuses an, in dem Seuse seine Empfindungen schildert, die er während des Gottesdienstes bei der gesungenen Präfation „Sursum corda" („Empor, alle Herzen, in die Höhe, zu Gott") hegte. Bei diesen Worten habe er, so Seuse, stets eine Ekstase der Sehnsucht und des Verlangens nach Gott auf Grund insgesamt dreier Gedanken erlebt, die ihm dabei entweder nur teilweise oder auch vollständig gekommen seien:
„Der erste (in mein Herz hineinleuchtende) Gedanke war der: Ich stellte vor meine inneren Augen mich selber mit allem, was ich bin, mit Leib, Seele und allen meinen Kräften; um mich herum stellte ich alle Geschöpfe, die Gott je in Himmel und Erde erschuf und im Bereich der vier Elemente, ein jegliches mit seinem Namen, sei es ein Vogel in der Luft, ein Tier des Waldes, ein Fisch im Wasser, Laub und Gras der Erde, die unzähligen Körnlein Sandes im Meer und dazu der kleine Staub, der im Sonnenstrahl erglänzt und alle Tröpflein Wassers, die von Tau, Schnee oder Regen je fielen und immer weiter fallen; dann wünschte ich, ein jegliches hätte ein liebliches, in die Höhe dringendes Saitenspiel, angeschlagen aus meinem innersten Herzen; und daß sie erklingen lassen möchten ein neues hochgemutes Lob Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit." (Das Leben des seligen Heinrich Seuse, in: Heinrich Seuse. Deutsche mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann. Mit einer Hinführung von Emmanuel Jungclausen. Einleitung von Alois Maria Haas, Zürich/Düsseldorf 21999, 56f.).
Mit einer beeindruckenden Bildillustration von ausgesucht schönen Exemplarenn wie einem Pfau, einer Echse und einer Ameise derjenigen Kreaturarten, die dieser höchst expressive Text Seuses nennt, setzt dieser Film wirkungs- und stimmungsvoll ein. Damit vermag er das Schöpferlob der ganzen Schöpfung, um das es Seuse bei diesem ersten Gedanken zum „Sursum corda" grundlegend geht, höchst anschaulich ins Bild zu setzen. Besonders eindringlich werden dabei das Plätschern einer lebendigen Wasserquelle sowie ein langsamer Regen von Wassertropfen bildhaft eingefangen, wie überhaupt alle Naturaufnahmen in diesem Film als höchst gelungen und passend bezeichnet zu werden verdienen: Denn sie vermitteln einen authentischen Eindruck von der unglaublich feinen Beobachtungs- und Wahrnehmungsgabe natürlicher Vorgänge, die Heinrich Seuse nach Auskunft seiner Schriften, insbesondere seiner „Vita", auszeichnet.
Es gelingt diesem Film in vorbildlicher Weise, eine angemessene Balance in der Präsentation zwischen der geschichtlichen Persönlichkeit Seuses mit ihrer eigenen, einzigartigen Biographie einerseits und dem Hinweis auf die Aktualität und Relevanz der von Seuse verkörperten Botschaft für unsere Zeit andererseits zu finden.
Hinsichtlich seiner geschichtlichen Dokumentationskraft für eine Darstellung des äußeren Lebensganges Seuses ist dieser Film nützlich und hilfreich; ungleich wertvoller ist er jedoch noch in seiner einfühlsam und verständnisvoll vorgenommenen und künstlerisch durch ein passgenaues Bild- und Tonmaterial durchweg sehr gelungen inszenierten Vergegenwärtigung des inneren Lebensweges Heinrich Seuses, gleichsam seiner Seelengeschichte. Um deren für unsere Zeit besonders interessante Aus- und Zielrichtung aufzuzeigen, blendet dieser Film immer wieder gesprochene Zitate von exemplarischer Deutungskraft aus dem Werk Seuses ein, und zwar sowohl im mittelhochdeutschen Orginalton, der Seuse gleichsam selbst zu Wort kommen zu lassen versucht, als auch in neuhochdeutscher Übersetzung, die das Gesprochene dem nicht mediävistisch ausgebildeten Zuschauer verständlich macht. Nicht nur auf der Ebene des gesprochenen Wortes, sondern auch auf der Bild- und auf der Tonebene und vor allem in der feinen Abstimmung und harmonischen Orchestrierung dieser drei Ebenen mit- und aufeinander erreicht dieser Film den Rang eines künstlerischen Gesamtkunstwerks von hoher Qualität.
Es freut den Seuse-Kenner, dass dieser Film den dreistufigen Weg des Menschen zu Gott als das Zentrum der spirituellen Lehre Seuses kennzeichnet; dass er ferner Seuses bewusst paradox formuliertes Diktum „Ich muss werden, der ich war, bevor ich war" als den Leitspruch seiner mystagogischen Spiritualität erkennt; und dass er das Finden und lebensgeschichtliche Entfalten der besonderen, von Gott gewollten und entworfenen Lebensgestalt jedes einzelnen Menschen als die geschöpfliche Verwirklichung seiner göttlichen, exemplarursächlichen Bestimmung deutet und treffend mit dem allmählichen Sichöffnen einer Blüte versinnbildlicht. Nicht weniger freut den Seuse-Kenner, dass Seuses schriftstellerisches Programm mit Seuses eigener programmatischer Formel „Bilder mit Bildern austreiben" erläutert und auch dem unkundigen Zuschauer gut verständlich gemacht wird. Ein eigens hervorhebenswertes Qualitätsmerkmal dieses Films ist auch der Umstand, dass die für Seuses spirituelle Lebensgeschichte zentralen Zäsuren in dessen 18. und 40.Lebensjahr eine angemessene und zugleich sehr anschaulich inszenierte Berücksichtigung und Deutung erfahren; dass Seuses religiöse Lebensgeschichte als radikale Nachfolge des vorbildlichen Lebensweges Jesu Christi, insbesondere seines Leidens, erkannt und dargestellt wird; und dass darüber hinaus auch und sogar Seuses feinsinnige Unterscheidung zwischen dem von Gott nicht gewollten, sondern selbstbereiteten Leiden und dem von Gott gegebenen und daher um seiner größeren Vervollkommnung willen gewollten Leiden des menschlichen Christusnachfolgers aufgenommen und filmisch wirkungsvoll inszeniert wird. In diesem Zusammenhang stellt dieser Film gegen moderne Missverständnisse expressis verbis völlig zu Recht fest, dass Seuses Leidensbereitschaft nichts Psychopathisches an sich hat, sondern als Ausdruck von Seuses unbedingtem Willen zur Nachfolge Christi, bis in dessen stellvertretendes Leiden für andere hinein, zu verstehen ist.
Ganz besonders aber freut den Erforscher der Spiritualität Seuses, dass das Herzstück der spirituellen Lebenslehre Seuses - seine Lehre von der „Schule" der Gelassenheit - hier in ihrem wahren Stellenwert erkannt und hervorgehoben wird; dass Seuses oben erläuterte Kurzformel für den mystischen Weg - die Entbildung des Menschen von der Kreatur, seine Bildung mit Christus und seine Überbildung in der Gottheit - hier ebenfalls zur Geltung kommt, auch wenn die letzte Dimension der mystischen Einung des Menschen mit der einfachen Wesensnatur Gottes sich naturgemäß jeder bildhaften Darstellung entzieht.
Die bleibende Relevanz und daher Aktualität auch der geistlichen Pädagogik Seuses, die der individuellen Konstitution und Bedürfnislage jedes Menschen gerecht zu werden sucht, wird von diesem Film an Seuses Verhältnis zu seiner geistlichen Schwester Elsbeth Stagel sehr gut zum Ausdruck gebracht.
Schließlich soll auch der bildlich eindrucksvolle und sachlich treffende Abschluss dieses Films mit einer unmittelbaren Veranschaulichung jener Quellmetapher erwähnt werden, mit der Seuse in der Vorrede seines „Büchleins der ewigen Weisheit" den göttlichen Herkunftsbereich seiner in dieser Schrift entfalteten „lieblichen Lehre" versinnbildlicht: Ein „eifriger Mensch", so Seuse, soll „zu den hervorgeflossenen Quellen dieser lieblichen Lehre eilen, daß er sie nahe ihrem Ursprunge erblicke, in ihrer frischen, anmutigen Schönheit: und in diesem Einwirken gegenwärtiger Gnade könnten sie abgestorbene Herzen erquicken." (Vorrede zum Büchlein der ewigen Weisheit, in: Heinrich Seuse. Deutsche mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann. Mit einer Hinführung von Emmanuel Jungclausen. Einleitung von Alois Maria Haas, Zürich/Düsseldorf 21999, 218). Mit dieser bildlich und klanglich unterstützten Paränese aus Seuses eigenem Mund endet dieser
Film. Damit verleiht er dem spirituell-mystagogischen Appell Seuses als seines „Helden" an seine Zuschauer einen ethisch nachdrücklichen und zugleich ästhetisch schönen Ausdruck.
Insgesamt gesehen, darf diese Verfilmung des Lebens und Wirkens Heinrich Seuses als in einem ganz hohen Maße gelungen bezeichnet werden. Dem Zuschauer werden die geschichtliche Person und die zentralen spirituellen Anliegen und Überzeugungen Heinrich Seuses in einer künstlerisch eindrucksvollen filmischen Inszenierung nahegebracht. Diese stellt zweifelsohne eine sachlich seriöse und zugleich sehr einprägsame Einführung in Leben und Werk unseres Mystikers und Dichters vom Bodensee dar.
Freiburg, den 25. Januar 2011
(Prof. DDr. Markus Enders)